Schuld und Sühne by Dostojewski Fjodor

Schuld und Sühne by Dostojewski Fjodor

Autor:Dostojewski, Fjodor [Dostoyevsky, Fyodor]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2023-10-20T00:00:00+00:00


Vierter Teil

I

„Ist das etwa die Fortsetzung des Traumes?“ dachte Raskolnikoff noch einmal.

Er betrachtete vorsichtig und mißtrauisch den unerwarteten Besucher.

„Sswidrigailoff? Welch ein Unsinn! Es kann nicht sein!“ sagte er schließlich laut und zweifelnd.

Der Besucher schien über diesen Ausruf gar nicht erstaunt zu sein.

„Ich bin zu Ihnen aus zwei Gründen gekommen, – erstens wollte ich Sie persönlich kennenlernen, da ich längst über Sie sehr Interessantes und Vorteilhaftes gehört habe; zweitens aber bilde ich mir ein, daß Sie sich vielleicht nicht weigern werden, mir bei einem Vorhaben zu helfen, das besonders die Interessen Ihrer Schwester Awdotja Romanowna betrifft. Mich allein, ohne Empfehlung, wird sie vielleicht jetzt nicht mal ins Haus lassen infolge eines Vorurteiles; mit Ihrer Hilfe rechne ich darauf.“

„So rechnen Sie schlecht,“ unterbrach ihn Raskolnikoff.

„Ihre Angehörigen sind doch erst gestern angekommen, erlauben Sie mir die Frage?“

Raskolnikoff antwortete nicht.

„Ja, gestern, ich weiß es. Ich bin selbst erst seit vorgestern hier. Doch, was soll ich Ihnen weiter sagen, Rodion Romanowitsch; ich halte es für überflüssig, mich zu rechtfertigen, nur eins lassen Sie mich bemerken, – habe ich denn tatsächlich etwas verbrochen, wenn man alles ohne Vorurteile, mit ruhiger Vernunft betrachtet?“

Raskolnikoff betrachtete ihn immer noch schweigend.

„Der Umstand, daß ich in meinem Hause ein wehrloses, junges Mädchen verfolgt und ‚sie mit meinen abscheulichen Anerbieten beleidigt habe‘, soll ein Verbrechen sein? Ich komme Ihnen zuvor. – Denken Sie doch daran, daß ich auch nur ein Mensch bin, et nihil humanum ... mit einem Worte, daß ich auch fähig bin, Reize zu empfinden und zu lieben, – was sicher nicht mit unserem Wollen geschieht, sondern in unserer Natur liegt, und damit läßt sich alles auf die allernatürlichste Weise erklären. Die Frage ist nur die, bin ich ein Scheusal oder selbst ein Opfer? Nun, und wenn ich das Opfer bin? Und sehen Sie, indem ich dem Gegenstande meiner Liebe anbot, mit mir nach Amerika oder in die Schweiz zu fliehen, empfand ich dabei die allerehrerbietigsten Gefühle und glaubte uns zum gegenseitigen Glück zu verhelfen! ... Der Verstand dient doch der Leidenschaft, und ich richtete mich selbst dabei zugrunde, das müssen Sie doch auch in Betracht ziehen! ...“

„Darum handelt es sich gar nicht,“ unterbrach ihn Raskolnikoff voll Widerwillen. „Sie sind mir einfach widerlich, ob Sie schuldig sind oder nicht, und man will mit Ihnen nichts zu tun haben, man jagt Sie fort und so gehen Sie doch Ihrer Wege! ...“

Sswidrigailoff lachte laut auf.

„Aber Sie sind ... man kann Sie nicht verwirren!“ sagte er und lachte offen heraus, „ich dachte es schlau angefangen zu haben, aber es gelang nicht, Sie stellten sich gleich auf den richtigsten Standpunkt.“

„Ja, und Sie wollen auch in diesem Augenblicke schlau sein.“

„Was wäre dabei? Nun, was wäre dabei?“ wiederholte Sswidrigailoff und lachte weiter. „Es ist doch bonne guerre[4], wie man es nennt und eine höchst erlaubte Schlauheit! ... Aber Sie haben mich unterbrochen; ich wiederhole noch einmal, ob es so oder anders gekommen wäre, es wären keine Unannehmlichkeiten vorgefallen, wenn nicht noch der Auftritt im Garten hinzugekommen wäre. Marfa Petrowna ...“

„Marfa Petrowna, sagt man, haben Sie auch ins Grab gebracht?“ unterbrach ihn schroff Raskolnikoff.



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